„Ethik im Business“ als Schwerpunkt auf der women&work
Interview mit Dr. Irina Kummert, Präsidentin des Ethikverbands der Deutschen Wirtschaft e.V.
Gibt es eine männliche und eine weibliche Ethik? Würden mehr Frauen in Top-Positionen für eine andere ethische Haltung sorgen und hätte die verstärkte Besetzung von Führungspositionen durch Frauen positive Auswirkungen auf das moralische Klima in der Unternehmenslandschaft in Deutschland? Diese und viele weitere ethische Fragen werden am 24. Mai auf der women&work in Bonn, Deutschlands größtem Messe-Kongress für Frauen, diskutiert. Melanie Vogel, Initiatorin der Veranstaltung, sprach mit Dr. Irina Kummert über “Ethik im Business“. Dr. Kummert ist Präsidentin des Ethikverbands der Deutschen Wirtschaft e.V., der als Kooperationspartner der women&work 2014 das Schwerpunktthema auf dem Messe-Kongress maßgeblich mitgestaltet.
Melanie Vogel: Was verbirgt sich hinter dem Begriff Ethik?
Dr. Irina Kummert: In der Philosophie wird Moral als ein Bündel von Regeln und Normen bezeichnet, während die Ethik als die wissenschaftliche Theorie der Moral gilt. In der Alltagssprache werden die Begriffe Ethik und Moral dem gegenüber nicht getrennt, sondern synonym gebraucht. Was wir im Umgang miteinander meinen, wenn wir über Ethik und Moral reden, hat seine Wurzeln in unserer individuellen Situation und emotionalen Befindlichkeit, ist (lebens-) situationsabhängig, auch bedingt durch die Kultur, in der wir aufwachsen bzw. unsere persönliche Sozialisation und ist damit zutiefst subjektiv. Demzufolge wird es schwer bis unmöglich, die allgemein gehaltene Frage, was sich hinter dem Begriff Ethik verbirgt, pauschal zu beantworten. Man kann sich dem Begriff aber nähern, indem man beschreibt, welchen Zweck man Ethik zuweisen möchte. Für mich persönlich hat Ethik in erster Linie die Aufgabe, Schaden von den Menschen und der Gesellschaft abzuwenden.
Vogel: Warum ist "Ethik im Business" zurzeit so ein wichtiges Thema?
Dr. Kummert: „Ethik im Business“ war insofern schon immer ein wichtiges Thema, da nur auf der Grundlage eines partnerschaftlichen, fairen Umgangs miteinander langfristig ausgerichtete Geschäftsbeziehungen entstehen können. Seit Beginn der Finanzmarktkrise 2007 hat die Auseinandersetzung mit Ethik im Geschäftsleben allerdings vermehrt Eingang in die öffentliche Diskussion gefunden und ist somit medial präsenter.
Vogel: Gibt es ethische Grundregeln, die im Geschäftsleben gelten? Wenn ja, welche sind das?
Dr. Kummert: Ja, die gibt es auf jeden Fall. Eine recht gute, erste Orientierungshilfe ist das 1517 von der Versammlung Eines Ehrbaren Kaufmanns zu Hamburg e.V., formulierte Leitbild des Ehrbaren Kaufmanns. Danach zeichnet sich ein ehrbarer Kaufmann dadurch aus, dass er Vorbildfunktion übernimmt, sich Treu und Glauben verpflichtet fühlt, auf die berechtigten Interessen anderer Rücksicht nimmt und einen redlichen Umgang im Geschäftsverkehr pflegt. Zentral ist dabei, dass nicht alles was rechtlich zulässig ist, auch als ehrbar gilt.
Vogel: In den meisten Unternehmen in Deutschland sind das Top-Management, Vorstand und/oder Aufsichtsratsposten männlich besetzt. Hat das Auswirkungen auf die ethische Grundhaltung in Unternehmen? Denken und handeln Männer ethisch anders als Frauen?
Dr. Kummert: Ganz unabhängig davon, welche Sichtweise jemand hinsichtlich der unterschiedlichen Dispositionen von weiblichen und männlichen Führungskräften vertritt, verfügt insbesondere diejenige Geschäftsleitung über eine hohe interne wie externe Akzeptanz, der es gelingt, auch kompetente Frauen dafür zu gewinnen, sich an der Gestaltung eines Unternehmens zu beteiligen. Insofern kann ein Unternehmen durch Frauen in Führungspositionen nicht nur seine Außenwahrnehmung verbessern, sondern auch intern eine Veränderung bezogen auf die Authentizität der von einem Unternehmen vertretenen Werteorientierung anstoßen. Seriöse wissenschaftliche Studien kommen zu dem Ergebnis, dass Frauen sich bei Managemententscheidungen an anderen Parametern orientieren als Männer und daraus eine andere ethische Grundhaltung sowie einen signifikanten Unterschied im Führungsstil von Frauen ableiten. Begründet wird diese Auffassung zum Beispiel damit, dass männliche und weibliche Führungsstile jeweils durch unterschiedliche Wertedispositionen charakterisiert werden. Während Männer Wettbewerb, Kontrollbedürfnis und aggressives Verhalten zeigen würden, würden Frauen dazu tendieren, auf einen kooperativen Führungsstil und eine Teamkonzeption in der Zusammenarbeit zu setzen.
Vogel: Inwieweit könnten Ihrer Meinung nach mehr Frauen in Führungspositionen das ethische Grundklima in einem Unternehmen verändern?
Dr. Kummert: Verschiedene empirische Studien lassen Hinweise darauf zu, dass Frauen in Führungspositionen einen positiven Effekt auf weibliche Mitarbeiter und Kunden ausüben. Wie diese Effekte konkret aussehen könnten, ergibt sich aus meiner Antwort auf die vorgehende Frage. Weiter möchte ich jedoch inhaltlich der Podiumsdiskussion im Rahmen der women&work nicht vorgreifen – wir haben als Ethikverband der Deutschen Wirtschaft e.V. hochinteressante Persönlichkeiten eingeladen, genau dieses Thema mit uns zu diskutieren. Für männliche und weibliche Führungskräfte gleichermaßen gilt, dass Veränderungsprozesse hinsichtlich der Unternehmenskultur in erster Linie dadurch in Gang gesetzt wer-den, dass eine Führungskraft die von ihr vertretenen Werte vorlebt. Der Neurowissenschaftler Marco Iacoboni konnte im Kontext verschiedener Experimente zeigen, dass sich bestimmte Verhaltensmuster von Mensch zu Mensch durch so genannte Spiegelneuronen durchsetzen. Für die unternehmerische Praxis bedeutet das, dass es möglich ist, die Kultur und die Werteorientierung innerhalb eines Unternehmens durch die Übernahme von Vorbildfunktion zu gestalten und zu verändern.
Vogel: Was müssen Politik und Gesellschaft tun, damit wieder mehr "Ethik im Business" gelebt werden kann und was kann jede(r) einzelne von uns tun?
Dr. Kummert: Ich wünsche mir sowohl in Politik und Gesellschaft als auch im direkten Umgang miteinander eine deutlich bessere Gesprächs- und Streitkultur bezogen auf Ethik, Moral und Werteorientierung. Die meisten Unternehmen haben bereits einen Wertekodex, dem sie sich im Außen- wie im Innenverhältnis verpflichtet fühlen. Eine ethische Komponente fließt jedoch erst durch konkrete Handlungen einzelner Personen in das Geschäftsleben ein. Nur über die handelnden Personen wird die ethische Verfasstheit eines Unternehmens intern gelebt und in der Öffentlichkeit wahrgenommen. Entsprechend wird ein Wertekodex nur dann als glaubwürdig empfunden, wenn er durch die Handlungen der Menschen wahrnehmbar ist. Konkret bedeutet das zum Beispiel, dass es nicht förderlich ist, wenn Wasser gepredigt und Wein getrunken wird. Wenn die Geschäftsleitung aus Kostengründen unternehmensweit die Direktive ausgibt, dass vorerst keine weiteren Smartphones angeschafft werden, dann sollte das nicht nur für die gesamte Belegschaft, sondern auch für die Geschäftsleitung gelten. Auch für die Vertreter der Politik gilt: Weniger Allgemeinplätze, mehr Authentizität und damit mehr Glaubwürdigkeit.
Vogel: Der Ethikverband der Deutschen Wirtschaft ist 2014 zum ersten Mal auf der women&work. Worauf freuen Sie sich am meisten?
Dr. Kummert: Ich freue mich am meisten auf die Gespräche mit den Besucherinnen und Besuchern der women&work, darauf, auch kontroverse Diskussionen führen zu können und unterschiedliche Sichtweisen kennen zu lernen.
Vogel: Vielen Dank, Frau Dr. Kummert, für das Interview.