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20.11.2018

Tramadol und Hypoglykämie – ein unterschätztes Risiko

Schon lange vermutete man einen Zusammenhang zwischen Tramadol und Hypoglykämie. Dieser wurde nun durch eine britische Studie belegt. Die Schmerztherapie mit Tramadol geht mit einem erhöhten Risiko einher, eine schwere Unterzuckerung zu erleiden. Das zeigt eine Auswertung von Patientendaten, die in der medizinischen Fachzeitschrift »JAMA Internal Medicine« veröffentlicht wurde. Die Ergebnisse der Analyse stehen im Einklang mit einer Vielzahl von Fallberichten, die zuvor in französischen Publikationen für Aufsehen gesorgt hatten. Weil der Wirkstoff nicht als Betäubungsmittel gilt, ist er leicht erhältlich und und weit verbreitet. Tramadol wurde schon in den 1970er Jahren von der Grünenthal GmbH (Aachen) entwickelt, doch sein großer Erfolg kam erst viele Jahre später. Im Juni 2010 wurde ein anderes Analgetikum, Dextropropoxyphen, von der EMA aufgrund eines erhöhten Sterberisikos verboten. In der Folge stieg die Zahl der Verschreibungen für Tramadol schlagartig an.

Warum das in Ungnade gefallene Schmerzmittel mehr Todesfälle verursacht als vergleichbare Medikamente, wusste zu dieser Zeit noch niemand. Störungen der zentralnervösen Atmungssteuerung galten im Hinblick auf die gering ausgeprägte Stärke des Wirkstoffs als zweifelhaft. Die Aufarbeitung französischer Pharmakovigilanzdaten, veröffentlicht im »British Journal of Clinical Pharmacology«, deutete Hypoglykämien hin. Aus derselben Arbeit geht hervor, dass bei etwas niedrigerer Inzidenz ein ähnlicher Zusammenhang in Bezug auf Tramadol und Hypoglykämie besteht. Charakteristisch für beide Substanzen ist der Umstand, dass die Probleme – unabhängig von etwaigen diabetischen Vorerkrankungen – immer in den ersten Tagen der Therapie auftraten.

ean-Pascal Fournier vom Jewish General Hospital (Montreal, Kanada) ist der Problematik in einer Auswertung der United Kingdom Clinical Practice Research Datalink (CPRD) auf den Grund gegangen. Die Datensammlung enthält Informationen von 13 Mio. Hausarztpatienten Großbritanniens, darunter 334.034 Personen, die Tramadol oder Codein als Analgetika verwendeten.



Der Blick in die HES-Datenbank, die Aufzeichnungen über die Gründe für Krankenhausaufenthalte beinhaltet, brachte ans Licht, dass 1105 Patienten der gesamten Gruppe (einschließlich 112 Verstorbene) wegen einem zu niedrigen Blutzuckerspiegel im Krankenhaus behandelt worden waren. Ein Abgleich der Hypoglykämiefälle mit jeweils 10 Kontrollen ergab, dass Tramadol im Vergleich zu Codein mit einem um 52 % höheren Risiko assoziiert ist. Für die ersten zehn Therapietage ermittelte der Wissenschaftler, dass ein um den Faktor 2,61 erhöhtes Risiko besteht. Für Fournier gibt es einen aus biologischer Sicht einleuchtenden Grund dafür: Tramadol wirkt als µ-Opioid-Rezeptor-Agonisten. Von diesen Substanzen weiß man aus Tierversuchen, dass sie den Blutzucker senken. Darüber hinaus verlangsamt Tramadol die Wiederaufnahme von Noradrenalin- und Serotonin, was zu „vielschichtigen Konsequenzen“ für den Zuckerstoffwechsel führt.

Die oben genannten Komplikationen kommen nur bei 7 von 10.000 Patienten vor, doch aufgrund des in vielen Fällen tödlichen Ausgangs ist das Risiko nicht von der Hand zu weisen. Einige Forscher gehen davon aus, dass die die Dunkelziffer bedeutend höher ist. Bei Diabetikern führt man einen niedrigen Blutzuckerspiegel in der Regel auf ihre Erkrankung zurück. Bei Nichtdiabetikern wird bei einer Verschlechterung des Allgemeinzustands oft keine Hypoglykämie in Erwägung gezogen und bleibt unerkannt. Dazu kommt die unbekannte Anzahl von Personen, die Schmerzmittel wie Tramadol rezeptfrei erwerben. Die Zukunft wird zeigen, ob es anhand der aktuellen Forschungen zu einer Neubewertung des Risikoprofils seitens der Gesundheitsbehörden kommt.




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